Habe Deine Lust am Herrn
Psalm 37,4
Habe Deine Lust am Herrn; der wird Dir geben, was Dein Herz begehrt.
Was für ein Vers! Der ist uns auf
Anhieb sympathisch und weckt unser Interesse. Das hört sich ja an wie ein
Lottogewinn, wie der Geist aus der Flasche, wie die gute Fee im Handgepäck. „Wo
ist hier der Haken?“ fragen wir sehr schnell. „Kann man das wirklich wörtlich
nehmen?“ Erst einmal bleibt festzuhalten, dass dieser Vers so in der Bibel
steht. Das allein ist schon erfreulich. Das lebendige Wort Gottes ist keine
freudlose Abhandlung, sondern kennt den ganzen Menschen in seiner Tiefe und
spiegelt den Reichtum des Schöpfers. „…der wird Dir geben, was Dein Herz
begehrt.“ Diese Verheißung macht Lust, sie sich genauer anzuschauen. Ich folge Luthers
Übersetzung „Lust am Herrn“ zu haben, das ist übrigens etwas anderes, als „Lust
auf etwas“ zu haben. Es geht also um ein tiefes, beglückendes Empfinden und
Erleben, nicht um ein Bedürfnis, wie etwa die Lust auf Schokolade. Es geht um
erlebte Lust am Herrn, nicht um hochgespannte und vielleicht frustrierte
Erwartungen.
Wer ein vollkommenes Bild der Lust
sehen und ihren Klang hören will, der betrachtet ein Kind an der Brust der
Mutter. Da fehlt nichts. Der ganze Mensch genießt – ganz hingegeben, ganz
geborgen, ganz zufrieden. Wir stehen als Erwachsene staunend daneben und werden
vielleicht ein bisschen neidisch. Wenn wir das so könnten! Wie viele
Verletzungen, Ängste und Bedenken schmälern unsere Fähigkeit zur Hingabe, zum
Genuss. Und wie sehnen wir uns danach, zutiefst beschenkt, erfreut, erquickt zu
werden.
Mein Sohn ist unglaublich: Gerade eben noch ist er verzweifelt, empört, ganz entkräftet und manchmal unausstehlich. Ein Mordsspektakel ist im Gange, ein Frontalangriff auf die entblößte Deckung meiner blank liegenden Nerven. Sämtliche Register hat Papa gezogen, alle Optionen ohne Gewinn eingelöst. Der kleine Mann ist nicht zu beruhigen, der große ist hoffnungslos aufgeschmissen. Aber irgendwann kommt die Rettung in Gestalt von Mama. Das Gebrüll wechselt die Tonlage – und auf einmal: Stille! Wohlbehagen und Entspannung, wo eben noch der Krieg tobte. Das hält dann so ungefähr fünf bis zehn Minuten an, bis der Kleine sich von Mama abwendet und mit einem vergnügten „Öröllegölle!“ nach neuen Herausforderungen Ausschau hält. Die Kräfte sind wiederhergestellt, es kann weitergehen.
Das ist eine gute Weise, das Wort „Lust am Herrn zu haben“ zu begreifen. Andere Übersetzungen lesen „labe Dich am Herrn“. Mein Vater hat mir geholfen, ein wenig in den hebräischen Text zu schauen. Das Wort 'anag, das hier verwendet wird, taucht an mindestens zwei weiteren Stellen auf: Einmal in Jesaja 55 Vers 1 und 2:
1 Auf, ihr Durstigen, alle, kommt zum Wasser! Und die ihr kein Geld habt, kommt, kauft und eßt! Ja, kommt, kauft ohne Geld und ohne Kaufpreis Wein und Milch!
2 Warum wiegt ihr Geld ab für das, was kein Brot ist, und euren Verdienst für das, was nicht sättigt? Hört doch auf mich, und eßt das Gute, und eure Seele labe sich am Fetten!
Hier finden wir wieder ein Bild von Genuss, von Sättigung und Stärkung.
Und in Jesaja 66 Vers 11 lesen wir, wie Gott Jerusalem und sich selbst mit einer Mutter vergleicht, die ihr Kind tröstet:
10 Freut euch mit Jerusalem und jubelt über sie, alle, die ihr sie liebt! Frohlockt mit ihr in Freude, alle, die ihr über sie getrauert habt!
11 Damit ihr saugt und euch sättigt an der Brust ihrer Tröstungen, damit ihr schlürft und euch labt an der Fülle ihrer Herrlichkeit.
12 Denn so spricht der HERR: Siehe, ich wende ihr Frieden zu wie einen Strom[a] und die Herrlichkeit der Nationen wie einen überflutenden Bach. Und ihr werdet saugen. Auf den Armen werdet ihr getragen und auf den Knien geliebkost werden.
13 Wie einen, den seine Mutter tröstet, so will ich euch trösten. An Jerusalem sollt ihr getröstet werden.
14 Ihr werdet es
sehen, und euer Herz wird sich freuen, und eure Gebeine werden sprossen wie das
junge Gras. Und die Hand des HERRN wird sich an seinen Knechten zeigen, aber
seine Feinde wird er bedrohen.
Wenn wir unsere Lust am Herrn
haben, dann genießen wir die Fülle seiner Herrlichkeit! Da geht es um unseren
ganz persönlichen Zugang zu Ihm, unseren eigenen, engen, intimen und
liebevollen Kontakt zu unserem Schöpfer, so wie der Säugling sich an seine
Mutter schmiegt. Was für ein guter Gott! Ein trockener, freudloser Glaube ist
nicht das, was er für uns gedacht hat, sondern Gutes für den ganzen Menschen.
Haben wir Lust am Herrn oder Frust am Herrn? Ja, manchmal leiden wir, weil wir unseren Herrn nicht verstehen und es schwer aushalten, dass er der Herr ist und wir die Diener. Oft müssen Menschen leiden, ohne Grund und Ziel zu sehen. Immer muss unsere Seele ihren Weg finden, unserem Herrn neu das Vertrauen auszusprechen. An Hiob sehen wir das besonders deutlich. Erst nach langem und leidenschaftlichen Ringen findet er in der direktem Begegnung mit seinem Gott wieder zur Ruhe. Und der Herr begegnet seinem Diener direkt in seinem Leid, im Aufruhr seiner Seele. Hiob kann sich seinem Herrn wieder unterordnen. Wir müssen unserem Herrn begegnen, wir dürfen darum ringen, auch wenn letztlich er es ist, der sich uns zeigt. Wir verfügen nicht über ihn, aber wir müssen ihm begegnen. Und er verspricht uns, dass er sich von uns finden lässt, sogar bevor wir Ihn suchen:
Ich war zu erfragen für die, die nicht <nach mir> fragten; ich war zu finden für die, die mich nicht suchten. Ich sprach: Hier bin ich, hier bin ich! zu einer Nation, die meinen Namen nicht anrief. Jesaja 65 Vers 1
Hiob hatte aus Gottes Hand viel Gutes erhalten. Er hatte alles im Überfluss, und nach seinem Leid beschenkte Gott ihn noch reichlicher. Gott ist Quelle und Ziel unserer Freude. Die Freude am Herrn ist unsere Stärke.
Lust hat immer eine Quelle, es fragt sich nur, welche. Die Qualität der Quelle erkennen wir daran, ob durch die Lust unser Lebensdurst gestillt oder ein ungesunder Heißhunger geweckt wird. Wie gelangen wir an die guten Quellen unseres Schöpfers? Einige Hinweise finden wir, wenn wir den ganzen Psalm 37 lesen: „Entrüste Dich nicht über die Übeltäter, beneide nicht die, welche Böses tun!“ (Vers 1) An Gottes Quellen ist es friedlich, da verstummt der Ärger, und der Neid hat keinen Platz. „Vertraue auf den Herrn und tue Gutes; wohne im Land und hüte Treue“ (Vers 3) Das Zutrauen zu Gottes Stärke und Güte darf uns nicht tatenlos machen; wir sollen treu an unserem Platz stehen. „Befiehl dem Herrn deinen Weg und vertraue auf Ihn, so wird er handeln.“ (Vers 5) Unser Handeln und Wandeln sollen wir in Gottes Hände zurücklegen, der weiter sieht als wir und der vermag, was wir nicht können. „Sei still dem Herrn“ (Vers 7) und schließlich „Harre auf den Herrn und halte seinen Weg ein.“ (Vers 34) Das Bild einer ruhigen, klaren und tiefen Quelle kann uns helfen, diese Ratschläge zu verstehen und zu behalten. Gottes Gegenwart erfüllt jeden Ort mit Stille, mit Kraft und weckt unsere Anbetung. An einem solchen heiligen Ort wächst Gehorsam in unseren Herzen, wenn wir das wollen und zulassen. Gott wartet darauf, dass wir uns ihm zuwenden, dass wir aufhören, uns zu entrüsten und unserem Neid keinen Raum geben, dass wir im Vertrauen handeln und still warten lernen.
Aus den Quellen Gottes entspringt
der Strom des Lebens, das verspricht uns der Herr Jesus selber. „Wer an mich
glaubt, wie die Schrift sagt, aus dessen Leib werden Ströme lebendigen Wassers
fließen“. Dieser Strom kommt aus dem Heiligtum Gottes und tut zuerst uns selbst
wohl, dann unseren Glaubensgeschwistern und allen Menschen, denen wir Anteil
daran geben. Es ist ein Strom zur Ehre Gottes und zur Freude der Menschen. Habe
Deine Lust am Herrn. Er ist die Quelle und das Ziel unserer Freude, er schafft
einen Lebensstrom, der nicht austrocknet.
Wir werden aufgefordert, unsere Lust am Herrn zu haben, nicht an irgendwem oder an irgendetwas. Am Herrn! Gott ist unser Herr, nicht unser Diener. Wir haben eben keinen Flaschengeist, der uns zur Verfügung steht. Dass er der Herr ist, weist uns in unsere Grenzen und gibt uns unser zuhause. Es demütigt und adelt uns zugleich. Wir sind keine Herren, aber wir dürfen Diener des Herrn der Welt sein. Es ist bemerkenswert, dass wir uns über unseren Herrn freuen sollen und können. Wer kann das schon jederzeit von seinem Chef sagen? Stellen Sie sich vor, Ihr Chef würde sie auffordern: „Freuen Sie sich an mir!“ Das wäre doch befremdlich. Gott ist aber mehr als unser Chef, er ist unser Schöpfer. Wenn wir aufgefordert werden, unsere Lust an ihm zu haben, dann trägt das einfach der Tatsache Rechnung, dass wir ohne unseren Schöpfer nichts haben und sind – er ist die Quelle allen Lebens. Von Selbstverwirklichung ist hier keine Rede. Wenn wir unseren Lebensstrom aus der Quelle unseres Herrn schöpfen und fest in ihm, in seinem Wort verwurzelt sind, dann bringt er uns zur Entfaltung, und wir werden gute Früchte bringen. Allerdings müssen wir schon etwas Zeit investieren – selbst im Alltagschaos können wir immer wieder kurz den Blick auf Ihn lenken. Ein Stoßgebet ist wesentlich besser als ein verzweifelter Kampf aus eigener Kraft. Bibelverse und gute Lieder, die wir auswendig wissen, können uns trösten und leiten. Das sind die Wurzeln, durch die wir fest stehen und immer genug Wasser bekommen, so dass unser Leben nicht vertrocknet. Wenn wir es lernen, Ihn als Herrn in allen Situationen zu sehen und uns darüber zu freuen, dass er in der Hand hat, was uns umtreibt, dann werden wir gelassen und zuversichtlich sein. „Jesus, hilf mir!“ – „Herr, was soll ich tun?“ – „Jesus, Du bist der Herr, Du bist der Sieger, Du hast das alles in der Hand! Halleluja!“.
Das war die erste Hälfte unseres
Verses: „Habe Deine Lust am Herrn!“ Suche den Herrn, dass Du Ihm begegnest.
Schöpfe aus seiner Quelle. Diene Deinem guten Herrn gerne. Habe Deine Lust am
Herrn!
Betrachten wir die zweite Hälfte:
Der wird Dir geben. Daraus lernen wir zweierlei. Erstens: Er gibt. Das sagt uns
etwas über den Geber, und weil wir den Geber kennen, wissen wir auch, welche
Gaben wir erwarten können. Zweitens wird uns kein Zeitpunkt genannt. Er gibt zu
seiner guten Zeit. Nicht nach unserem Gutdünken.
Wir haben einen freundlichen Gott,
der sich nicht von uns bedienen lässt, sondern der uns alles gibt, der uns
beschenkt. Es ist wahr, dass Gott uns auch manches nimmt, doch das wollen wir
hier beiseite lassen. In vielen Psalmen und in vielen weiteren Büchern der
Bibel lernen wir, dass Gott uns auch Schweres zumutet, uns läutert, uns einer
Feuerprobe unterzieht. Hier im siebenunddreißigsten Psalm führt David uns den
Herrn vor Augen, der uns gibt. Was für ein Geber ist das?
Er ist ein königlicher Geber, von
dem wir königliche Gaben erwarten dürfen. Er wird uns kostbare Geschenke geben,
die ihm entsprechen. Er ist heilig, schön und herrlich. Von sich aus wird uns
nie Gaben zweiter Klasse geben und schlechte schon gar nicht. Allerdings sollten
wir uns gut überlegen, welche Gaben wir von Ihm erbitten: Das Volk Israel
wollte zum Beispiel unbedingt einen König haben, weil alle Nachbarvölker auch
einen hatten. Das war bestenfalls die zweitbeste Lösung, aber Gott entsprach
ihrem Wunsch. Es ist also gut, zuerst nach Gottes Wünschen fragen. Das ist so,
als ob wir in einem Spitzenlokal nach der Empfehlung des Hauses fragen. Da
können wir gar nicht falsch liegen.
Wir erfahren, dass Gott uns gibt,
aber über den Zeitpunkt wird uns nichts gesagt. Das hat seinen Grund. Seine
Pläne sind besser als unsere und er kommt nicht zu spät. Das kann allerdings
ganz anders aussehen. Die Tochter des Jairus starb, bevor Jesus kam. Alle
sagten: Es ist zu spät. Es kann uns bis aufs Äußerste fordern, auf Gottes Zeit
zu warten. Der Hebräerbrief macht uns Mut: „Werft nun Eure Zuversicht nicht weg,
die eine große Belohnung hat!“ (Hebräer 10,35).
Aber was wird Gott uns geben –
können wir darüber nicht Genaueres erfahren? Der Text sagt einfach „was Dein
Herz begehrt“. Was begehrt es denn? Wir haben schon gehört, dass der heilige
Gott uns keine schlechten Gaben geben kann. Aber wir selbst sind leider gar nicht
vollkommen, sondern kurzsichtige Sünder. Unser Herz kann sehr wohl auch
Schlechtes begehren oder etwas, das an sich gut ist, in einer schlechten Weise
begehren. Schon Adam und Eva wollten sein wie Gott. Das stand Ihnen aber nicht
zu. In unserem Begehren sind wir oft nicht ausgewogener als Adam und Eva: Ein
anderer Partner. Absolute Sicherheit. Wir können uns versichern, bis kaum noch
Geld zum Leben bleibt. Aber ein neues Auto muss doch drin sein, oder? Dass die
monatliche Rate die Familienkasse belastet, ist da schnell vergessen. Vielleicht
begehren wir eine Stellung, die uns nicht zusteht. Das geht übrigens nicht nur
im Arbeitsleben, sondern auch in der Gemeinde. Die Jünger haben es uns vorgemacht.
„Wer von uns wird der Größte sein?“
Was begehren wir wirklich, und was
steht uns zu?
Vielleicht ist das eine gute Erklärung: Was wir wirklich begehren, füllt uns aus. Kein Auto, kein Reichtum, kein Sex, kein Abenteuer, kein Erfolg, keine Ehe, keine gesellschaftliche Ehre. Alles Nichtige, das wir begehren, vergrößert nur unseren Hunger, wenn wir es erreichen und gibt uns keinen Frieden. Wilhelm Busch sagt: „Ein jeder Wunsch, wenn er erfüllt, kriegt augenblicklich Junge.“ Was aber ist wirklich wichtig und nicht wirklich nichtig?
Unser Herz kann ohne einige Dinge nicht wirklich leben. Hier sind sieben unerlässliche Güter, die unser Herz begehrt. Ich meine, dass es Eigenschaften Gottes sind, die er uns, seinen Geschöpfen als Sehnsucht gegeben hat.
Psalm 30, 11 Höre, HERR, und sei mir gnädig! HERR, sei mein Helfer!"
12 Meine Wehklage hast du mir in Reigen verwandelt, mein Sacktuch hast du gelöst und mit Freude mich umgürtet,
13 damit meine Seele dich besinge und nicht schweige. HERR, mein Gott, in Ewigkeit will ich dich preisen.
Ich will Dich preisen! Haben wir
nichts besseres zu tun? NEIN, in Ewigkeit nicht! Da können wir doch am besten
heute beginnen, zu üben, und unserer Seele sagen: „Habe Deine Lust am Herrn,
der wird Dir geben, was Dein Herz begehrt!“ Amen.